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27.03.2024

Schaltschranklose Automatisierung als Gamechanger im Maschinen- und Anlagenbau

MX-System bei einer Fensterprofil-Bearbeitungsmaschine

„Das MX-System ändert die Art und Weise, wie im Maschinenbau konstruiert und installiert wird“, ist Ludger Martinschledde, Geschäftsführer der Schirmer Maschinen GmbH überzeugt. In einer ersten Anlage zur Bearbeitung von Profilen konnte die steckbare Systemlösung für die schaltschranklose Automatisierung von Beckhoff in allen Projektphasen überzeugen, von der Planung über die Konstruktion bis zur Montage und Inbetriebnahme.

Fenster- und Türenbau ist Hightech. Das wird bereits beim ersten Prozessschritt deutlich, der vollautomatischen Bearbeitung der sogenannten Rohstäbe auf einer Profilbearbeitungsmaschine von Schirmer Maschinen GmbH. Schirmer wurde 1979 gegründet und war der erste Kunde von Beckhoff. Seit über 40 Jahren setzt das Unternehmen auf PC-based Control von Beckhoff, angefangen von der ersten Positioniersteuerung bis zum neuen MX-System. Gerade die letztgenannte steckbare Systemlösung für die schaltschranklose Automatisierung passt besonders gut zum Maschinenkonzept von Schirmer: die Entwicklung individueller Maschinen auf Basis von weitgehend standardisierten Prozessmodulen zu kundenspezifischen Lösungen mit hoher Ausbringungsleistung und Flexibilität in Bezug auf Profile und Prozesse. Das Unternehmen ist seit 2016 Mitglied der Beckhoff Automation Gruppe und beschäftigt heute rund 250 Mitarbeitende.

Für einen Automatisierer ist die Anlagenrückseite interessant: Jedes Maschinenmodul verfügt über eine eigene MX-System-Baseplate, auf der die verschiedenen Funktionsmodule aufgesteckt und verschraubt werden.
Für einen Automatisierer ist die Anlagenrückseite interessant: Jedes Maschinenmodul verfügt über eine eigene MX-System-Baseplate, auf der die verschiedenen Funktionsmodule aufgesteckt und verschraubt werden.

Was macht eine Schirmer Maschine

Die Maschinen von Schirmer bilden eine Vielzahl unterschiedlicher Prozesse ab: Aus etwa 6 m langen Profilstäben entstehen die Einzelteile für Fensterrahmen und -flügel im Durchlaufverfahren. So weit wie möglich werden dabei alle Bohr-, Fräs- oder Stanzbearbeitungen am Rohstab ausgeführt. Anschließend folgen Zuschnitt und Bearbeitung der Enden. Parallel zur Bearbeitung der Profilstäbe erfolgt auf einer separaten Linie der Zuschnitt der Armierungsprofile, die optional automatisch ins PVC-Profil eingeschoben und positioniert werden. Daran schließen sich weitere Prozesse wie z. B. die Verschraubung von Profil und Armierung, Stahlbearbeitung (Bohren, Fräsen) sowie das Einsetzen und Verschrauben der Schließteile an.

Da die Schirmer-Maschinen mit unterschiedlichsten und häufig wechselnden Profilgeometrien umgehen müssen, erfolgt die Umrüstung automatisch. „Manuelles Rüsten ist bei uns tabu“, so Ludger Martinschledde. Dementsprechend sind viele Anschläge und Halterungen vollautomatisch zu positionieren. „Im letzten Jahr haben wir z. B. eine Linie mit insgesamt 210 Achsen realisiert“, skizziert Ludger Martinschledde das Anforderungsprofil an die Steuerungsplattform.

Schaltschränke bestimmen die Produktionsabläufe

Die bislang eingesetzte elektrische Ausrüstung der Schirmer-Maschinen entspricht dem Status Quo. Antriebsverstärker, Netzteile, Energieverteilung sowie die PC-basierte Steuerungstechnik werden in Schaltschränke eingebaut. Davon gibt es an den Schirmer-Maschinen immer mehrere, die entlang der Maschine aufgestellt werden und zu denen die Kabel aus in der Regel zwei bis drei Prozessmodulen der Maschine gelegt und angeschlossen werden. Zusätzlich kommen in Unterverteilern EtherCAT I/Os zum Einsatz. Diese werden verwendet, um die Aktoren und Sensoren der einzelnen Prozessmodule einzusammeln.

Die Zusammenfassung mehrerer Prozessfunktionen in einem Schaltschrank und der Einsatz von Unterverteilern, an denen die Signalleitungen angeklemmt und nicht angesteckt werden, stellt aber für den modularen Maschinenbau einen Kompromiss dar.

Ludger Martinschledde beschreibt die Nachteile dieser Lösung wie folgt: „Die elektrische Installation und Inbetriebnahme findet daher zum größten Teil erst bei der Endmontage statt – zu einem Zeitpunkt, wo wir eigentlich die Anlage möglichst schnell in Betrieb nehmen und danach wieder demontieren und ausliefern möchten.“ Die Diskrepanz zwischen dem Modul-Konzept der Maschine und den zentralen Schaltschränken wurde von Schirmer seit längerem als Hemmschuh identifiziert, um einen effizienteren Projektdurchlauf zu gestalten.

Deshalb wurden er und die Konstrukteure von Schirmer hellhörig, als sie 2021 von den Möglichkeiten einer komplett schaltschranklosen Automatisierung mit dem MX-System von Beckhoff hörten. „Die Konstrukteure und Ludger Martinschledde haben sofort das Potenzial des MX-Systems für ihren modularen Maschinenbau erkannt“, erinnert sich Daniel Siegenbrink, Produktmanager MX-System bei Beckhoff.

„Mit dem MX-System können wir die Wertschöpfung im Fabrikdurchlauf nach vorn verlagern und dadurch insgesamt eine viel effizientere Produktion erreichen“, so Ludger Martinschledde, Schirmer Maschinen GmbH (r.) – neben Daniel Siegenbrink, Produktmanager MX-System bei Beckhoff.
„Mit dem MX-System können wir die Wertschöpfung im Fabrikdurchlauf nach vorn verlagern und dadurch insgesamt eine viel effizientere Produktion erreichen“, so Ludger Martinschledde, Schirmer Maschinen GmbH (r.) – neben Daniel Siegenbrink, Produktmanager MX-System bei Beckhoff.

Maschine völlig neu und schaltschranklos konzipiert

An einer Maschine setzt Schirmer nun erstmals das MX-System ein und beschreitet damit einen neuen Weg mit dem wesentlichen Ziel, die Durchlaufzeiten und Abläufe beim Bau der Maschinen zu optimieren. Anstelle der Schaltschränke, die bislang neben den Maschinen stehen, sind nun MX-System-Baseplates direkt an den Stahlgestellen der Prozessmodule zu sehen. Die Aufgaben der Unterverteiler wurden entweder auch in dem MX-System untergebracht oder sind durch dezentrale I/O-Module (EtherCAT-Box-Module) von Beckhoff ersetzt worden. Diese Kombination aus MX-System und EtherCAT-Box-Modulen ermöglicht es, dass sämtliche Leitungen zu den Motoren, Sensoren sowie den Ventilinseln steckbar sind.

Der entscheidende Vorteil des MX-Systems liegt für Schirmer in der Umstrukturierung der internen Abläufe. Denn mit dieser steckbaren Systemlösung kann der Maschinenbauer bereits in der Vormontage alle elektrischen Komponenten eines Maschinenmoduls montieren und über vorkonfektionierte Leitungen einfach anschließen. Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: In der Vormontage sind die Maschinenmodule von allen Seiten frei zugänglich, was die Leitungsverlegung und deren Anschluss wesentlich erleichtert. Daniel Siegenbrink verdeutlicht: „Das spart viel Zeit und erhöht deutlich die Effizienz der Arbeitsabläufe.“ Dies gelte nicht nur für die Montage, sondern beginne bereits bei der Planung, Arbeitsvorbereitung und Materialbereitstellung in der Produktion.

Mit den Funktionsmodulen des MX-Systems entfällt zudem die im konventionellen Schaltschrankbau übliche aufwendige Einzelverdrahtung zahlreicher Teilkomponenten. Auf diese Weise werden Verdrahtungsfehler verhindert und die Teilevielfalt reduziert. Daher können die benötigten Komponenten – MX-System-Baseplates und -Module sowie die vorkonfektionierte Systemverkabelung – direkt nach der Elektroplanung aus dem Lager zur Vormontage kommissioniert werden. „Ziel ist ein auftragsunabhängiges Lager, das wir über Mindestbestände, Bedarfe und Wiederbeschaffungszeiten disponieren möchten“, so Ludger Martinschledde.

Für Schirmer haben sich noch zwei weitere Erkenntnisse aus diesem ersten Entwicklungsprojekt ergeben: Kurzfristige Änderungswünsche sind auch in einer späten Projektphase viel einfacher und mit weniger Aufwand umsetzbar. Und bei einer modulweisen Teilinbetriebnahme werden etwaige Funktionsfehler früh erkannt und lassen sich noch ohne Zeitdruck beseitigen.

Schnell und effizient bis zum Endkunden

In der Endmontage, in der die Maschinen eine große Fläche belegen, muss es bei Schirmer schnell gehen, um Platz für die nächsten Anlagen zu schaffen. Hier senken die vorverlagerten Prozesse wie insbesondere die Elektroinstallation und ggf. Teilinbetriebnahmen laut Ludger Martinschledde die Standzeiten deutlich und erhöhen somit die Flächeneffizienz: Schirmer kann somit in der gleichen Halle mehr Anlagen aufbauen, abnehmen und ausliefern. Als Maschinenbauer mit einem Exportanteil von 75 % ist der universelle Einsatz der Automatisierungslösung für Schirmer ein weiterer wichtiger Aspekt. Musste der künftige Aufstellort bislang bereits bei der Elektroplanung und Materialbeschaffung berücksichtigt werden, kann die Maschine nun durch das im Gegensatz zum konventionellen Schaltschrank IEC-, UL- und CSA-konforme MX-System weltweit ohne aufwendige Anpassung eingesetzt werden. Das erhöht den Standardisierungsgrad bei Schirmer zusätzlich.

Zweireihige Baseplate des MX-Systems: Die offene Montage an den Grundgestellen vereinfacht die Verkabelung der Maschine und erleichtert die Diagnose.
Zweireihige Baseplate des MX-Systems: Die offene Montage an den Grundgestellen vereinfacht die Verkabelung der Maschine und erleichtert die Diagnose.

Aber nicht nur Schirmer profitiert von einer schaltschranklosen Automatisierung. Für die Endanwender hat das MX-System ebenso handfeste Vorteile. Hierzu zählt z. B. die bessere Zugänglichkeit der Maschinenbereiche und der geringere Platzbedarf durch den Wegfall der Schaltschränke. Dadurch lassen sich die Produktionsanlagen in den Hallen enger stellen und die wertvolle Fläche optimal nutzen, ohne beispielsweise die Vorgaben hinsichtlich der Fluchtwege zu verletzen. Die um Faktor 10 geringere Anzahl an Bauteilen reduziert auch den Umfang des Ersatzteillagers. Die Beckhoff Diagnose APP, die mit dem MX-System in den Markt eingeführt wird, ist ein Hilfsmittel, welches es dem Instandhaltungspersonal einfacher macht, Fehler zu lokalisieren und zu beheben. „Die durchgehende Steckbarkeit und die Verwendung der Diagnose APP als Ersatz für das Multimeter ermöglichen es, dass für den Anschluss oder auch den Austausch der MX-System-Module keine speziell geschulten Elektrofachkräfte erforderlich sind“, betont Daniel Siegenbrink.

Erfolgreicher Start in die schaltschranklose Automatisierung

Der Einsatz des MX-Systems von Beckhoff hat bei Schirmer an vielen Stellen entlang der gesamten Prozesskette deutliche Vorteile und Optimierungen ergeben. So reduzierte sich der bisherige Aufwand für die Elektroplanung um rund 50 %; die üblichen zwei bis drei Wochen Montagezeit für den konventionellen Schaltschrankbau wurden zu nur noch wenigen Stunden Systemmontage. Bei den Standzeiten in der Endmontage erwartet Ludger Martinschledde ebenfalls eine deutliche Verringerung.

Dementsprechend wird die neue, erstmals auf der internationalen Branchenleitmesse Fensterbau Frontale 2024 vorgestellte Maschine – so Ludger Martinschledde – auch nicht die letzte Anlage auf dem Weg in eine neue Ära der schaltschranklosen Automatisierung sein: „Schirmer wird weiterhin auf diese innovative Lösung von Beckhoff setzen. Dass wir unsere Maschinen auf eine schaltschranklose Automatisierung mit dem MX-System umstellen, ist für uns klar. Und das wird zukünftig auch für die Produktlinien für Alu- und Stahlprofile gelten.“

Merkmale der Fensterbau-Frontale-Maschine